„Der Kern unserer alten Städte mit ihren Domen und Münstern muss zerschlagen und durch Wolkenkratzer ersetzt werden.“ Zyniker könnten meinen, das Zitat der französischen Architektenikone Le Corbusier bringe das Dilemma zeitgenössischen Bauens auf den Punkt. Wer kennt es nicht? Ihr steigt an einem beliebigen Bahnhof in Deutschland aus, spaziert durch eine beliebige Einkaufsstraße einer beliebigen Innenstadt. Überall sieht es architektonisch gleich aus. Gleich hässlich.

Bausünden

Nun muss man Bausünden aus der Nachkriegszeit in den Kontext setzen, nachdem ein Großteil unserer Städte zerbombt und zu unserem Leidwesen nur in Teilen originalgetreu wiederaufgebaut wurde. Das Wirtschaftswunderland brauchte schnell Wohnraum und Platz für Autos. Man wollte angesichts der Katastrophe mit der Vergangenheit brechen. Weniger Verständnis sollte man gegenüber neu errichteten Bausünden aufbringen. Ob gigantische Großprojekte, hochpreisige Wertanlagen in Form von Luxuswohnungen oder Einfamilienhäuser in zersiedelten Neubaugebieten: Wo man hinschaut, überall sprießen seelenlose, immer gleich aussehende Klötze aus dem Boden. Bei repräsentativen Gebäuden dominieren Quader und Würfel aus Sichtbeton und Glas. Dazu ein Flachdach. Abseits der noch vorhandenen oder rekonstruierten Altstädte und einigen verschont gebliebenen Gründerzeitvierteln muss man unweigerlich die „Unwirtlichkeit der Städte“ (Alexander Mitscherlich) konstatieren.

 

Was sind die Gründe dafür?

 

Ökonomisierungsdruck

Der erste Grund ist das Geld – die schnelle Rendite, die sich ein Bauherr von seinem Vorhaben verspricht. Laut einer Untersuchung des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) tragen Kostendruck und Bürokratie gleichermaßen zur Gleichförmigkeit der Neubauviertel in Deutschland bei. „Beständig wachsende ökonomische Zwänge wirken sich natürlich auch auf die Gestaltung von Gebäuden aus“, so GdW-Präsident Axel Gedaschko. „Boden wird so extrem teuer, dass jeder Cent für den bezahlbaren Neubau dreimal umgedreht werden muss.“ „Radikale Ökonomisierung des Bauens“, nennt das der Architekturkritiker Niklas Maak in der FAZ.

Zum Preisdruck tragen politisch gewollte Normen und Auflagen bei, nicht zuletzt im Namen klimapolitisch geforderter energetischer Maßnahmen: „In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Zahl der Bauvorschriften auf rund 20.000 vervierfacht. Das treibt die Baukosten in die Höhe und sorgt für einen immer größeren Druck aufseiten der Bauherren, möglichst effizient zu bauen“, so Gedaschko.

Hinzu kommt – Grund zwei – der Konformitätsdruck unter modernen Architekten. Neubauten sehen überall gleich aus, ob in Köln, Rotterdam oder London. Das ist nicht zuletzt Resultat ideologischer Lehrpläne in den Universitäten: Wer nicht auf Minimalismus, kubische Formen, glatte Oberflächen oder Flachdächer setzt, sondern dekorative Elemente, Satteldächer oder gar regionale Baustile mit ortsüblichen Baumaterialien befürwortet, gilt bestenfalls als konservativ, schlimmstenfalls als ewiggestrig und reaktionär. Moderne Architektur verstehe sich als international, so Architekt und Publizist Norbert Borrmann. „Wenn sie sich wandelt, dann weniger aufgrund der Besonderheit einer Region, sondern aufgrund einer – grenzenlosen – Mode.“

Ständisch-handwerkliche Baukunst, die sich in Jahrhunderten zu einem regional eigentümlichen harmonischen Gesamtbild zusammengefügt hat, wurde im Zuge von Industrialisierung, Kapitalismus, Mobilität und Massenkultur unaufhaltsam verdrängt. Das Bauwesen hat sich aus dem „integrierten Kosmos handwerklicher Produktion“ gelöst und wurde autonom, wie der Kulturpessimist Rolf Peter Sieferle in seinem Werk Fortschrittsfeinde? herausarbeitet. Architekten und Bauherren orientierten sich nicht mehr an örtlicher Tradition und Gewohnheit, sondern erlangten die Möglichkeit, sich aus einem Fundus sämtlicher Baustile zu bedienen. Der technische Fortschritt machte es möglich. Der durchschlagende Historismus der Gründerzeit – dem ersten wirklich universalen Stil – rief sowohl konservativ-regionalistische als auch progressive Kritik auf den Plan. Dem Protz des aufsteigenden Bürgertums entgegneten Progressive in der Folge mit radikaler funktionaler Schlichtheit. „Die Architektur der Moderne ist Ausdruck der zu sich selbst gekommenen Autonomie des Bauens, ist steingewordene ökonomische Rationalität und Entfremdung, ist radikale Subsumption menschlichen Lebens wie organischer Natur unter eine starre, abstrakte Objektivität“, so Sieferle.

 

Verlust der Mitte

In seinem vielbeachteten Werk Verlust der Mitte beschrieb der Kunsthistoriker Hans Sedlmayr den progressiv-revolutionären „großen Angriff auf die Architektur“, der u.a. mit der Gleichsetzung von Architektur und Geometrie einhergehe und „Isoliertheit als Wert“ an sich betrachte. Moderner Architektur fehle jeder organische Übergang zur Landschaft: „(…) wie vom Himmel heruntergefallen erscheinen diese ‚reinen‘ Architekturen in der ‚reinen‘ Natur (…).“ Das „Leugnen der Erdbasis“ kennzeichne den Kosmopoliten als „heimat- und bodenlosen Zukunftsmenschen“. Wie könne dieser auch anders hausen „als in der Bodenlosigkeit des Kugelhauses, dessen Tyrannei er sich – Anbeter der geometrischen Vernunft – freiwillig unterwirft. Beide, ‚Kosmopolit‘ und Kugelhaus, sind Geschöpfe derselben abstrakten Phantasie.“

Heimatlosigkeit, Entfremdung, Entortung, ergo: der „Verlust des Ortes“ (Volker Mohr) flexibler Arbeitsplatznomaden und ungebundener anywheres (David Goodhart) manifestiert eine Geisteshaltung, die in aller Konsequenz seelenlose, weil wurzellose Bauwerke schafft. Dieser unheilvolle Universalismus bringt nicht nur den Einheitsmenschen hervor, sondern sorgt flächendeckend auch für Einheitsarchitektur und damit den Tod tatsächlicher kultureller Vielfalt. Als heimatverbundene Patrioten und tendenziell verwurzelte somewheres reflektieren wir die öde Hässlichkeit großer Teile unserer Wohnorte. Doch wurde uns das gemeinschaftliche Gespür für ästhetische Erhabenheit nicht längst ausgetrieben? Zwar erfreuen sich wuselige Altbaukieze oder ruraler Landhauschic nicht nur bei gutbetuchten Hipstern, linken Studenten und einschlägiger Landlust-Klientel größter Beliebtheit. Entschiedener Unmut und organisierter Protest angesichts hässlicher Neubau-Architektur wird jedoch abseits nachvollziehbarer Streitigkeiten um Bauland und Flächennutzungspläne aus egoistischem Kalkül (Kein Neubaugebiet auf unserer Blumenwiese!) kaum artikuliert.

Ist Schönheit von Architektur überhaupt messbar? Eine Forschungsstudie der TU Chemnitz hat wissenschaftlich dargelegt, dass diese nur bedingt im Auge des Betrachters liegt. Die Schönheit von Gebäuden und Wohnvierteln ist durchaus objektivierbar. Der Gründerzeit-Altbau wird im Vergleich zum avantgardistischen Neubau empirisch als schöner empfunden. Gleichzeitig wird das Vorurteil widerlegt, schöne Gebäude seien wirtschaftlich nicht rentabel. Im Langfristtrend gilt zeitlose klassische Architektur als wertstabiler. Käufer und Investoren sind bereit, für schöne Gebäude und mehr Lebensqualität auch mehr Geld auszugeben.

Es ist bemerkenswert, dass die Hässlichkeit im Städtebau und auch die maßlose Zersiedelung von Ortschaften auf dem Lande, diesem „Siedlungsbrei ohne Form und Format, ohne Ziel und Ende“ (Dieter Wieland), in der AfD noch gar nicht zum Thema gemacht wurden. Im offiziellen Grundsatzprogramm findet man hierzu nichts: Weder im Kapitel über „Kultur, Sprache und Identität“ noch unter „Infrastruktur, Wohnen und Verkehr“. Dabei ist die bauliche Beschaffenheit unserer Städte und Ortschaften ein grundlegendes Identitäts- und Heimatthema, das emotionale Instinkte der Menschen anspricht und von den Altparteien vollkommen außer Acht gelassen wird!

 

Architektur und Mensch

Laut dem konservativen Philosophen Roger Scruton bilden die Städte Europas den „wertvollsten Teil unseres abendländischen Erbes: Nicht nur in ihren regelmäßig angeordneten Straßen, majestätischen Fassaden und öffentlichen Denkmälern, sondern auch in den kleinsten architektonischen Details und dem filigranen Spiel des Lichts auf Gesimsen und Öffnungen zeugen sie vom Triumph der zivilisierten Menschheit.“ Auch Wolf Jobst Siedler schwärmte von der „menschlichen Stadt“ als „Krönung einer fünftausendjährigen Entwicklung“.

Der luxemburgische Architekt Léon Krier, heute einer der wenigen Traditionalisten seiner Zunft, betont die Rückkopplung der Architektur auf die Bewohner und den öffentlichen Raum: „Alle Bauwerke, egal ob groß oder klein, privat oder öffentlich, haben ein öffentliches Antlitz, eine Fassade; sie üben daher ausnahmslos einen positiven oder negativen Einfluss auf die Beschaffenheit der öffentlichen Sphäre aus, die sie in ebenso dauerhafter wie radikaler Weise entweder bereichern oder ärmer machen.“

Laut Krier liege der grundlegende Irrtum der Moderne darin, „sich als universelle (und daher unaufhaltsame und notwendige) Entwicklung auszugeben, die althergebrachte Konzepte ersetzt und verdrängt.“ Kriers Ausführungen, nachzulesen in seinem Werk Freiheit oder Fatalismus, blieben nicht bloß Theorie. Prinz Charles höchstpersönlich beauftragte ihn in den 1980er Jahren, eine Musterstadt in der britischen Grafschaft Dorset zu errichten. Poundbury war eine „Kampfansage an das modernistische Monopol“ (Scruton) und ein wohldurchdachter Erfolg mit hohen Zufriedenheitswerten unter seinen Einwohnern.

Traditionelle menschliche Architektur entspreche im Gegensatz zu moderner technischer Architektur natürlichen Bedürfnissen im privaten wie im öffentlichen Raum. Es sind ausgerechnet die „Züge der Absichtlichkeit und der Anstrengung“ (Siedler), die zur Identitätslosigkeit durchgestylter Bauhaus-Gebäude führen, während der Gründerzeit-Altbau auch mit heruntergewohnter Fassade seine Würde behält. Kriers architektonischer Imperativ lautet: „Baut also in einer Weise, dass ihr selbst und jene, die euch lieb sind, zu jeder Zeit mit Freude eure Gebäude benutzen, in ihnen wohnen und arbeiten, ihre Freizeit verbringen und in ihnen alt werden können.“

Welche Handlungsspielräume ergeben sich für Baupolitiker der AfD? Zunächst müssen wir uns überhaupt erst bewusst machen, dass hässliche Architektur kein unumstößliches Naturgesetz ist. Wir kommen zum dritten Grund (neben dem Kosten- und dem Konformitätsdruck), weshalb heute fast ausschließlich hässlich gebaut wird: Es fehlt schlicht der politische Wille, etwas daran zu ändern.

 

Politische Handlungsspielräume

Es gilt, ein Bewusstsein für die Machbarkeit konservativen, traditionsbewussten und menschlichen Bauens zu schaffen, das sich bei Bauvorhaben als Antagonismus zu rein kapitalistischer Gewinnorientierung und linksprogressivem Kulturmarxismus begreift. Als historisches Vorbild dient die Bewegung des Heimatschutzes, die im deutschsprachigen Raum von 1900 bis 1945 ihre Blütezeit hatte. Im Gegensatz zum nachahmenden Historismus, dessen ortloser Stileklektizismus als unästhetisch empfunden wurde, verstand sich der Heimatschutzstil explizit als Reformbewegung. Bauwerke sollten sich unter Verwendung ortsüblicher Baumaterialien und unter Berücksichtigung regionaler Bautraditionen harmonisch in die sie umgebende Kulturlandschaft einfügen. Der Begründer des Heimatschutzes, Ernst Rudorff, lehnte in seiner gleichnamigen Urschrift 1897 nicht den technischen Fortschritt ab, geißelte aber die Entstellung von Städten, Dörfern und Landschaften durch „Übergriffe des modernen Materialismus“ und die „ungeheure Langeweile des Einerlei“. Dem Pionier des Naturschutzes ging es keineswegs um Reproduktion des Alten. Konkret plädierte Rudorff für die Erarbeitung von Musterbauplänen für sämtliche Regionen, die „das für jede Landschaft Charakteristische für Neubauten in Anwendung brächten, unter Berücksichtigung zugleich von angemessenen praktischen Einrichtungen, wie sie die Gegenwart erfunden hat.“ Dabei hatte er nicht in erster Linie repräsentative Bauten im Sinn, sondern vor allem einfache Wohnhäuser und Arbeitsstätten.

Die Heimatschutzbewegung versuchte in zahlreichen Unterverbänden Einfluss auf politische Entscheidungsträger zu nehmen und so u.a. die Förderung regionaler Bautraditionen voranzutreiben. Die Politik förderte den Zeitgeist durch Baugesetze und Statuten, außerdem durch die Einrichtung von einflussreichen Bauberatungsstellen zur Begleitung und Beratung von Architekten und Baumeistern. Im Bergischen Land z.B. findet man zahlreiche bauliche Zeugen dieser Zeit, die man unter dem Begriff Neubergischer Stil zusammenfasst: Zeitgemäße Neubauten, die regionaltypische Elemente wie den „bergischen Dreiklang“ (Schwarz-Weiß-Grün als prägende Farben, Schieferfassaden, weiße Tür- und Fensterlaibungen, weiße Fenstersprossen, grüne Schlagläden und Türen) behutsam aufnahmen, ohne frühe bergische Stuben einfach zu imitieren.

Heute setzt sich der Verein Stadtbild Deutschland e.V. ideell für Denkmalschutz, traditionelle Architektur und Rekonstruktionen ein und leistet wertvolle Aufklärungsarbeit im vorpolitischen Raum.

Warum sollte es heute eigentlich nicht möglich sein, im Bundestag oder im Landtag die Errichtung staatlich geförderter Bauberatungsstellen zur Wiederbelebung traditionsbewusster Architektur zu beantragen? Warum nicht Gender-Professuren einsparen und dafür neoklassizistische Architekturstudiengänge ins Leben rufen? Warum sollte es nicht möglich sein, auf kommunalpolitischer Ebene z.B. mehr Erhaltungssatzungen zu beschließen, um rücksichtslose Klotzarchitektur zu verhindern? Warum nicht bei öffentlichen Bauaufträgen als Bedingung festlegen, dass Architekturbüros traditionelle und regionaltypische Elemente in ihren Bauplänen zu berücksichtigen haben? Wohlgemerkt: Es geht nicht um aus der Zeit gefallene Attrappen à la „Disneyland“. Es geht nicht darum, die Zeit zurückzudrehen. Es geht um Neuinterpretationen liebenswerten Bauens, die unseren Städten und Ortschaften wieder ein Gesicht geben. Wir brauchen eine neue Heimatschutzbewegung!

Dieser Artikel ist ein Vorgeschmack auf die 6. Ausgabe der DISTEL, dem Mitgliedermagazin der Jungen Alternative NRW. Themenschwerpunkt: „Heimat. Leben. Orte.“ DISTEL #6 erscheint im Frühjahr 2021. Mitglieder der JA NRW erhalten ein Exemplar kostenlos. Andere können gerne vorbestellen unter kontakt@jungealternative-nrw.de.