Die Herausforderungen des Einzelhandels und der Gastronomie machen auch vor Wiehl nicht halt. Im Stadtgebiet wurden dieses Jahr einige Einzelhändler gezwungen, ihren Betrieb einzustellen. Die Sorgen reichen bis in die Straßen der Stadt, wo teils leerstehende Ladenflächen von Immobilieneigentümern zu überzogenen Preisen angeboten werden. Diese Realität ist nicht allein auf Wiehl beschränkt – sie ist Teil einer größeren Krise, die sich allmählich bis in die Herzen der Innenstädte ausbreitet.
Der anhaltende russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit im Zusammenhang stehenden Sanktionen haben im Verlauf des Jahres 2022 die Prioritäten der Händler verlagert. Während die Auswirkungen der Corona-Krise im Einzelhandel nach wie vor spürbar sind, rücken andere Themen stärker in den Vordergrund. Insbesondere konzentrieren sich die Händler vermehrt auf die anspruchsvolle Preisentwicklung und die zurückhaltende Neigung der Kunden zum Kauf.
Die Preisentwicklung hat ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht: 59 Prozent der Händler betrachten sie als zentrales Anliegen – ein Anstieg im Vergleich zu lediglich 34 Prozent im Vorjahr. Inmitten dieses Wandels bleiben jedoch auch die Energiekosten, die überbordende Bürokratie sowie der ernstzunehmende Attraktivitätsverlust der Innenstädte weiterhin auf der Agenda der Einzelhandelsbranche präsent.1
Ein herausragendes Anliegen, das bereits seit einiger Zeit die Gemüter der Händler beschäftigt, betrifft die Entwicklung der Kundenfrequenz. Bedauerlicherweise haben sich die Erwartungen in den vergangenen Jahren konsequent negativ gestaltet. Ein fortlaufender Rückgang der Kundenzahlen zeichnet sich ab, und die befragten Einzelhändler bestätigen diesen Trend seit einiger Zeit. Im Jahr 2022 gaben 66 Prozent der befragten Unternehmer an, dass die Kundenzahl in den vergangenen zwei Jahren rückläufig war. Diese Einschätzungen fungieren als Indikatoren für die allgemeine Entwicklung der Branche. Sie verdeutlichen, dass Kunden vermehrt online einkaufen oder ihre Einkäufe gezielter tätigen. Dies wird noch durch die gestiegenen Lebenshaltungskosten im Jahr 2022 verstärkt, welche die ohnehin schon gedämpfte Verbraucherstimmung zusätzlich belasten.2
Ein weiteres drängendes Problem, dem sich die Branche stellen muss, ist der anhaltende Fachkräftemangel. Viele Unternehmen sehen darin eines der bedeutendsten Geschäftsrisiken für die kommenden Jahre. Auch im Einzelhandel stellt der Mangel an qualifiziertem Personal eine ernstzunehmende Herausforderung dar. Verkaufsberufe nehmen in der Rangliste der offenen Stellen mit 61.000 unbesetzten Positionen (Stand: Juli 2023) den ersten Platz ein. Gleichzeitig zeigt die Anzahl der Auszubildenden im Einzelhandel seit einiger Zeit einen rückläufigen Trend. Dies ist teilweise auf weniger attraktive Vergütungsstrukturen und Arbeitszeiten zurückzuführen, welche von vielen potenziellen Auszubildenden als unzureichend attraktiv wahrgenommen werden.3
Trotz dieser Dynamik bleibt die Präsenz verschiedener Einkaufsmöglichkeiten nach wie vor ein zentrales Kriterium für die Attraktivität einer Innenstadt. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2022 erachten über 55 Prozent der Verbraucher das Vorhandensein von Einkaufsmöglichkeiten als relevant. Zusätzlich spielen öffentliche Grünflächen und eine vielfältige Auswahl an gastronomischen Angeboten eine entscheidende Rolle für die Anziehungskraft einer Innenstadt. Die Attraktivität einer urbanen Zone basiert auf einem Zusammenspiel der vorgenannten Faktoren, die im besten Fall Synergieeffekte hervorbringen.4
Trotz dieser mannigfaltigen Herausforderungen verliert die Innenstadt als Einkaufsort zunehmend an Gewicht, insbesondere bei jüngeren Verbrauchern. Während im Jahr 2015 noch 75 Prozent der Unter-30-Jährigen die Innenstadt als bevorzugten Einkaufsort ansahen, teilten 2021 nur noch 40 Prozent diese Ansicht. Ein spürbarer Rückgang von 35 Prozentpunkten ist zu verzeichnen. Um sich im Wettbewerb mit dem stetig wachsenden Online-Handel behaupten zu können, bedarf es daher einer umfassenden Neuausrichtung des Einzelhandels in der Innenstadt.5 Zudem verschärft die wachsende Problematik des Leerstands im innerstädtischen Gewerbe, angefacht durch die Corona-Pandemie, die Situation. Die Leerstandsquote wird voraussichtlich von zehn auf geschätzte 14 bis 15 Prozent steigen. Besonders besorgniserregend ist die Lage in den Randlagen (C-Lagen), wo die Leerstandsquote laut Quellen von 13 auf 21 Prozent ansteigen soll. Analyseergebnisse der imakomm AKADEMIE zeigen, dass vor allem mittelgroße Städte mit einer Zunahme des Leerstands zu kämpfen haben.6 Darüber hinaus läuft auch Ende 2023 die Landesförderung der von Leerstand bedrohten Ladenlokalen im Rahmen des „Sofortprogramms zur Stärkung unserer Innenstädte und Zentren“ aus.
Trotz dieser komplexen Herausforderungen sind viele Verbraucher nach wie vor überzeugt, dass die Innenstadt ihre Funktion als Einkaufsort bewahren sollte. Allerdings haben sich die Erwartungen an eine attraktive Innenstadt verändert. Aspekte wie vermehrte Grünflächen für ein angenehmes Stadtklima haben an Bedeutung gewonnen und wurden von über 85 Prozent der Befragten in den Jahren 2021/22 betont. Ebenso wird ein vielseitiger Funktionsmix, der Einkaufen, Wohnen und Arbeiten miteinander verbindet, von vielen als positiver Impuls für die zukünftige Gestaltung der Innenstädte wahrgenommen. In einer Ära des Wandels und ständiger Entwicklung ist es für den Einzelhandel in den Innenstädten von entscheidender Bedeutung, flexibel zu agieren und auf die sich wandelnden Bedürfnisse und Erwartungen der Verbraucher einzugehen.7
Die AfD-Fraktion beantragt vor diesem Hintergrund:
1. Der Bürgermeister wird beauftragt, sich an das zuständige Landesministerium zu wenden und dieses darum zu bitten, sich dafür einzusetzen, dass es zu keinen Einsparungen in Höhe von 900 Millionen Euro auf Bundesebene für Fördermittel des ländlichen Raums, der regionalen Wirtschaftsstruktur und des Städtebaus kommt.8
2. Der Bürgermeister wird beauftragt, sich beim Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung dafür einzusetzen, dass das Förderprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Ortszentren“ über das Jahr 2023 fortgesetzt oder ein inhaltlich ähnlich lautendes Förderprogramm eingesetzt wird.
3. Die Verwaltung erfasst und analysiert Daten über die Leerstände im Stadtgebiet und entwickelt eine Strategie, um dem Leerstand des Einzelhandels und der Gastronomie (präventiv) entgegenzuwirken.
4. Die Verwaltung erstellt eine Kampagne zur Stärkung des Bewusstseins für den lokalen Handel, um die Bürger dazu zu ermutigen, vermehrt in der Stadt einzukaufen und zu speisen.
Daniel Schwach
Jutta Hube
Dietmar Rekowski
1 HDE. (4. Juli, 2023). Topthemen des Einzelhandels in Deutschland im Jahr 2023
2 HDE. (31. Januar, 2023). Wie entwickelten sich nach Ihrer Einschätzung in den vergangenen 2 Jahren die Kundenfrequenzen an Ihrem/n Standort/en?
3 https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/202307/arbeitsmarktberichte/topten-top-ten/top-ten-d-0-202307-pdf.
4 CIMA. (16. Dezember, 2022). Was zeichnet eine attraktive Innenstadt aus?
5 Ebd.
6 imakomm AKADEMIE. (3. November, 2021). Corona: Voraussichtliche Entwicklung von Leerstandsquoten im innerstädtischen Gewerbe nach Handelslagen in Deutschland im Jahr 2021
7 CIMA. (16. Dezember, 2022). Welchem Zukunftsbild bzw. Lösungsideen bezüglich Ihrer Innenstadt stimmen Sie zu?
8 https://www.lebensmittelzeitung.net/politik/nachrichten/brief-an-bundesfinanzminister-hde-warnt-vor-kuerzungen-beim-staedtebau-171811?crefresh=1