Heute vor genau 150 Jahren wurde mit dem deutschen Kaiserreich der erste deutsche Nationalstaat aus der Wiege gehoben. Vorausgegangen war ein jahrzehntelanger Kampf der Deutschen um Einheit, der 1871 letztlich belohnt wurde. Ein Tag zum Feiern also?
Nicht, wenn es nach Bundespräsident Steinmeier geht: Der bezeichnete den Gedenktag zuletzt als »ungelegen«, zu wenig habe dieses Reich für die innere Einheit und die Freiheit seiner Bürger gesorgt, zu wenig für den äußeren Frieden: »Einen ungetrübten Blick zurück auf das Kaiserreich, vorbei an Völkermord, an zwei Weltkriegen und einer von ihren Feinden zerstörten Republik, gibt es nicht und kann es nicht geben.«
Dieser einseitigen und arrogant anmutenden historischen Verengung des Bundespräsidenten können wir widersprechen, wenn wir einmal nicht durch die Brille des heutigen, angeblich »besten Deutschlands aller Zeiten«, blicken:
Zum ersten Mal lebten fast alle Deutschen in einem modernen Staat, der seinen Bürgern feste Freiheiten und Rechte verbürgte. Die Kaiser waren eben keine absolutistischen Herrscher, die tun und lassen konnten, was sie wollten: Deutschland war eine konstitutionelle Monarchie, die den Vergleich mit der vielgelobten britischen Monarchie nicht scheuen brauchte, prozentual gesehen sogar über mehr Wahlberechtigte verfügte.
Wirtschaftlich und gesellschaftlich war Deutschland das Vorbild seiner Zeit: Das Wirtschaftswachstum war enorm, die Geldentwertung gering, es gab kaum Arbeitslosigkeit und kaum Staatsverschuldung. Weltwirtschaftlich konnten nur noch die USA mit Deutschland konkurrieren – umso erstaunlicher, wenn man die Rohstoffarmut Deutschlands berücksichtigt.
Diese wusste man wett zu machen durch ein vorbildliches Bildungswesen und die Genialität deutscher Erfindungen und Ideen: Vor dem ersten Weltkrieg gingen allein 20 (!) Nobelpreise nach Deutschland, wie der Historiker Karlheinz Weißmann in seiner Gedenkrede zum 150. Jahrestag bewusst herausstellt:
Wir sind der Überzeugung, dass jede stabile Gesellschaft einen positiven Bezug zur ihrer Herkunft, Kultur und Identität dringend braucht. Natürlich sollen dabei die Schattenseiten unserer Geschichte nicht unter den Teppich gekehrt werden. Genauso wenig aber sollten wir verächtlich aus Sicht der heute Geborenen auf die Handlungen unserer Vorfahren blicken, die selbstverständlich unter einem anderen Zeitgeist gelebt und ebenso wie wir immer nur das Beste für ihr Land gewollt haben.
Glückwunsch zum Geburtstag, deutscher Nationalstaat!