Antrag
der AfD-Fraktion vom 18.08.2020
Missbrauch der EU-Freizügigkeit verhindern – Rechte der Ausländerbehörden stärken
I. Ausgangslage
Das Freizügigkeitsrecht von Unionsbürgern ist in der Richtlinie 2004/38/EG1 vom 29. April 2004 geregelt. Die Umsetzung ins deutsche Recht erfolgt durch das Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU)2. Zudem hat die Bundesregierung eine entsprechende Verwaltungsvorschrift (AVV zum FreizügG/EU) erlassen.3 Das aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit folgende Aufenthaltsrecht begründet sich allein aus der Arbeitnehmereigenschaft eines Unionsbürgers.4 Der Begriff der „Arbeitnehmereigenschaft“ wurde durch die Rechtsprechung des EuGH wie folgt definiert: „… Arbeitnehmer […] jede Person, die eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht nach dieser Rechtsprechung darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält…“5.
Grundsätzlich steht Unionsbürgern das Recht auf Freizügigkeit nur zu, solange sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen.
Im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit sind Schutzmechanismen eingebaut worden, um einen Missbrauch zu verhindern. Liegen die Voraussetzungen für die Freizügigkeit nicht mehr vor, kommt es grundsätzlich zu einem Verlust des aus Art. 45 AEUV folgenden Aufenthaltsrechts. So dürfen sich Unionsbürger zur Arbeitsuche in der Regel nur für bis zu sechs Monate in einem anderen EU-Land aufhalten. Darüber hinaus ist gemäß FreizügG/EU ein Aufenthalt nur erlaubt, solange „nachgewiesen“ werden kann, dass weiterhin Arbeit gesucht wird und eine „begründete Aussicht auf Einstellung“ besteht. In der AVV zum FreizügG/EU ist geregelt, unter welchen Umständen der Bearbeiter in der Ausländerbehörde annehmen soll, dass jemand zwar Arbeit sucht, aber keine begründete Aussicht hat, Arbeit zu finden. So muss der Betreffende nachweisen, dass er noch Arbeit sucht (durch Darlegung objektiver Umstände, die in diese Richtung deuten). Dieses nützt ihm aber – wenn sechs Monate verstrichen sind – nichts, sofern seine Bewerbungen „voraussichtlich“ nicht erfolgreich sein werden.
Durch eine Firmierung als Selbständiger und eine Berufung auf die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit wird diese Regelung oftmals umgangen.
Nicht erwerbstätige Unionsbürger haben das Recht auf Freizügigkeit nur, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Wenn nichterwerbstätige Unionsbürger oder deren Familienangehörige Leistungen nach SGB II oder SGB XII in Anspruch nehmen wollen, besteht ein begründeter Verdacht, dass die Voraussetzungen für den Fortbestand des Freizügigkeitsrechts nicht mehr vorliegen. Auch in diesen Fällen „können“ die Ausländerbehörden gemäß der AVV zum FreizügG/EU lediglich den Sachverhalt prüfen.
Innerhalb der ersten fünf Jahre ist eine Abschiebung in das Heimatland möglich, wenn Arbeitsplatzsuche und Integration als aussichtslos erscheinen. Das erloschene Freizügigkeitsrecht kann allerdings wieder aufleben, „wenn ein Arbeitsuchender eine Beschäftigung findet oder ein Nichterwerbstätiger – wieder – über ausreichende eigene Existenzmittel verfügt“; das entspricht auch dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Aus Gründen der öffentlichen Ordnung ist der Verlust des Aufenthaltsrechts inkl. einer damit verbundenen Wiedereinreisesperre möglich. Die Verwendung von gefälschten oder verfälschten Dokumenten sowie die Vorspiegelung falscher Tatsachen können zu einer Versagung der Niederlassungserlaubnis bzw. zu einem Entzug der Freizügigkeit führen.
Zur Durchsetzung dieser Maßnahmen sind, insbesondere vor dem Hintergrund, dass für den Aufenthalt kein Aufenthaltstitel erforderlich ist, ausreichende Dokumentationen und Kontrollen notwendig. Gemäß der EU-Richtlinie 2004/38/EG kann der Aufnahmemitgliedstaat von Unionsbürgern für Aufenthalte von über drei Monaten verlangen, dass sie sich bei den zuständigen Behörden anmelden. Dabei soll unverzüglich eine Anmeldebescheinigung ausgestellt werden. Im Falle einer Nichterfüllung der Anmeldepflicht sind Sanktionen möglich. Für die Ausstellung der Anmeldebescheinigung dürfen die Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses, einer Einstellungsbestätigung des Arbeitgebers, einer Beschäftigungsbescheinigung oder eines Nachweises der Selbstständigkeit verlangt werden.
Gemäß § 5 FreizügG/EU gibt es zur Überprüfung der Voraussetzungen für die Freizügigkeit überwiegend lediglich Kann-Bestimmungen. Eine Glaubhaftmachung der Voraussetzungen kann von den Ausländerbehörden verlangt werden. In der AVV zum FreizügG/EU heißt es dazu sogar:
„Von einer Glaubhaftmachung der Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts ist abzusehen. Eine Überprüfung der Angaben findet nicht statt.“
Das Vorliegen oder der Fortbestand des Rechts auf Freizügigkeit „können“ (aus besonderem Anlass) überprüft werden. Bei einem Entfall der Voraussetzungen für ein Fortbestehen des Rechts auf Freizügigkeit innerhalb der ersten fünf Jahre „kann“ der Verlust festgestellt werden.
Die Überprüfung der Einstellungsbestätigung oder der Beschäftigungsbescheinigung gemäß § 5a FreizügG/EU darf von der zuständigen Behörde erfolgen. Der Besuch einer Hochschule oder einer anderen Ausbildungseinrichtung muss lediglich glaubhaft gemacht (aber nicht belegt) werden.
In Fällen eines Verlusts der Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ist gemäß der EU-Richtlinie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Es muss in diesen Fällen schwerwiegende Gründe geben. Gemäß FreizügG/EU ist es dann allerdings mindestens erforderlich, dass der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt wurde. Da dieses hohe Strafmaß kaum verhängt wird, scheidet die Möglichkeit eines Verlusts der Freizügigkeit in diesem Zusammenhang in den meisten Fällen aus. Die Bestimmungen der AVV zum FreizügG/EU (Kapitel 6.2) sind noch unbestimmter und lassen große Ermessensspielräume.
Wie die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 25 der AfD-Fraktion6 „Integrationsprobleme mit EU-Zuwanderern aus Südmittelosteuropa im Rahmen der EU-Freizügigkeitsrichtlinie in Städten und Gemeinden Nordrhein-Westfalens“ ergeben hat, liegen der Landesregierung zu zahlreichen Entscheidungskriterien für einen Entzug der Freizügigkeit keine Daten vor. In Verbindung mit der geschilderten „weichen“ Rechtslage gemäß FreizügG/EU sowie den AVV zum FreizügG/EU und in Folge der durch die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung überlasteten Ausländerbehörden ist eine konsequente Umsetzung der Freizügigkeit innerhalb der EU als Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht sichergestellt.
Wie die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 20 der AfD-Fraktion7 „Situation auf dem Arbeitsmarkt – bezogen auf Deutsche, Ausländer, Asylsuchende und Asylberechtigte in NRW in den Jahren 2014-2019“ ergeben hat, gibt es auch bei EU-Bürgern teils alarmierend schlechte Arbeitsmarktdaten.
Bei der Betrachtung der Arbeitslosenquoten (Tabelle III.2, S. 86) wird bereits bei der Gegenüberstellung der Quoten deutscher und anderer EU-Bürger ein deutlicher Unterschied sichtbar. Im Berichtsjahr 2018 betrug die jeweilige Arbeitslosenquote 5,8 bzw. 11,3 Prozent mit erheblichen Schwankungen in der Einzelauswertung von 4,5 Prozent bei Menschen mit irischer Staatsangehörigkeit bis zu 21,5 Prozent bei Menschen mit bulgarischer Staatsangehörigkeit.
Bei der Zahl der regelleistungsberechtigten EU-Bürger (Tabelle III.3, S. 91) fällt eine durchschnittliche Steigerung um 20 Prozent oder 22.160 Personen zwischen Dezember 2014 und Dezember 2018 auf. Bei Menschen mit bulgarischer und rumänischer Staatsangehörigkeit gibt es in diesem Zeitraum eine weit überdurchschnittliche Steigerungsrate, die mit der Bevölkerungszunahme seit der Einbeziehung der beiden Länder in den Geltungsbereich der EU-Freizügigkeit korreliert.8
Auch bei einer Betrachtung der Schulabschlüsse der Arbeitsuchenden (Tabelle IV.1, S. 99) fällt auf, dass 28 Prozent der EU-Bürger nicht einmal über einen Hauptschulabschluss verfügen. Im Bereich des Vorhandenseins einer abgeschlossenen Berufsausbildung bei Arbeitsuchenden sieht die Situation noch dramatischer aus (Tabelle IV.2, S. 116). So verfügen 75 Prozent der arbeitsuchenden EU-Bürger nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung.
Die Zahlen lassen vermuten, dass eine erforderliche und wünschenswerte Kontrolle der erforderlichen Voraussetzungen durch die Ausländerbehörden im Rahmen der EU-Freizügigkeit kaum stattgefunden haben kann. Das betrifft ausdrücklich alle EU-Bürger, die auf dieser Grundlage in Deutschland ansässig wurden. Das eigentliche Ziel der EU-Freizügigkeit, eine Freizügigkeit für Arbeitnehmer, wird somit verfehlt.
Der Verlust des Freizügigkeitsrechts ist grundsätzlich nur in den ersten fünf Jahren des Aufenthalts möglich. Nach fünf Jahren eines materiell rechtmäßigen Aufenthalts besteht nämlich ein Recht zum Daueraufenthalt. Damit durch behördliche Untätigkeit aus dem Freizügigkeitsrecht nicht ein Recht auf Daueraufenthalt erwächst, ist die Überprüfung in den ersten fünf Jahren erforderlich, um die Fälle zu identifizieren, in denen die Voraussetzungen der EU-Freizügigkeit nicht erfüllt werden, und die Rechte aus der EU-Freizügigkeit in diesen Fällen nicht zu gewähren.
Nach Entstehen des Daueraufenthaltsrechts ist es unerheblich, ob die Voraussetzungen für eine EU-Freizügigkeit weiterhin vorliegen. Auch die Ausweisung von Nichterwerbstätigen, die übermäßig Sozialleistungen in Anspruch nehmen, kommt nach erteiltem Daueraufenthaltsrecht nicht mehr in Betracht.
Die Schattenseiten einer unqualifizierten Zuwanderung werden vielerorts, z.B. in Duisburg Marxloh, in Gelsenkirchen oder in der Dortmunder Nordstadt, besonders deutlich sichtbar. So besteht auch für einige EU-Bürger ein hoher Bedarf an Integrationsmaßnahmen. Im Rahmen der Großen Anfrage 25 wurde nach Integrationsmaßnahmen für „Südmittelosteuropäer“ auf kommunaler und Landes- Ebene gefragt.9 In diesem Zusammenhang sind seit dem Jahre 2014 Kosten in Höhe von über 30 Mio. Euro angefallen. In zahlreichen Städten stehen überbelegte Schrottimmobilien, verbunden mit einer oftmals immensen Vermüllung der Umgebung. Von diesem Problem können auch kleinere Gemeinden, wie Horn – Bad Meinberg, betroffen sein. Solche Zustände tragen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Wohnqualität bei.
Mangels ausreichender beruflicher Qualifikation kommt es regelmäßig zu Scheinselbständigkeiten und zum Sozialhilfebetrug. Die Landesregierung führt in ihrer Antwort auf die Große Anfrage 25 auch das Problemfeld der Organisierten Kriminalität in Verbindung mit dem Missbrauch der EU-Freizügigkeitsrichtlinie auf. So wurde in diesem Zusammenhang eine Task Force eingerichtet.10
II. Der Landtag stellt fest,
- Bei der Umsetzung der EU-Freizügigkeitsrichtlinie in deutsches Recht wurden grundsätzliche und wirksame Schutzmechanismen, die eine Einwanderung in die sozialen Sicherungssysteme wirksam verhindern können, nur unzureichend normiert.
- Den Ausländerbehörden fehlt dadurch die eindeutige rechtliche Handhabe, das Vorliegen bzw. Weiterbestehen der Voraussetzungen der Freizügigkeit wirksam zu prüfen und mögliche Sanktionen zu verhängen.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
- sich auf Bundesebene für eine Überarbeitung des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) – unter Ausschöpfung des rechtlichen Rahmens der EU-Richtlinie 2004/38/EG – einzusetzen, mit dem Ziel, bessere Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten durch die Ausländerbehörden zu ermöglichen;
- sich auf Bundesebene analog für eine Überarbeitung der Verwaltungsvorschrift (AVV zum FreizügG/EU) einzusetzen;
- sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Datenerhebung und -analyse in diesem Zusammenhang deutlich verbessert wird;
- wegen des hohen Abstraktionsgrades zur Unterstützung der kommunalen Ausländerbehörden in den Zentralen Ausländerbehörden (ZAB) spezielle Fachabteilungen ausschließlich für Freizügigkeitsrecht einzurichten und
- auf Bundesebene generell darauf hinzuwirken, dass das ursprüngliche Ziel der EU-Freizügigkeit, einer Freizügigkeit für Arbeitnehmer, verwirklicht und jeglichem Missbrauch in Form einer Einwanderung in die Sozialsysteme wirksam begegnet wird.
Gabriel Walger-Demolsky
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion
1 Vgl. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32004L0038&from=DE
2 Vgl. https://www.buzer.de/gesetz/4720/index.htm
3 Vgl. https://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_03022016_MI12100972.htm
5 Vgl. bspw. EuGH, Rs. C-94/07 (Raccanelli), Urt. v. 17.07.2008, Rn 33; EuGH, Rs C-46/12 (N.), Urt. v. 21.02.2013, Rn. 40, 42; EuGH, verb. Rs. C-22 u. 23/08 (Vatsouras/Koupatantze), Urt. v. 04.06.2009, Rn. 26
6 Vgl. Lt.-Drucksache 17/10158, Fragen 23-32
7 Vgl. Lt.-Drucksache 17/9630
8 Bulgarien: von 11.663 auf 27.008 Personen (+ 132 %); Rumänien von 9.045 auf 22.457 Personen (+ 148 %)
9 Vgl. Lt.-Drucksache 17/10158, Frage 52, Anlage 3
10 Vgl. Lt.-Drucksache 17/10158, Frage 23
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